NRW vs Soloselbstständige – Corona-Soforthilfe Rückforderungen
Noch immer befinden sich tausende Selbstständige im Rechtstreit mit dem Land NRW. Auch ich. Das Land fordert die Corona-Soforthilfe zurück. Äh, Moment, war das nicht dieser groß angekündigte „nicht rückzahlbarer Zuschuss zur Umsatzkompensation“ im ersten Lockdown? Zunächst ja.
Die Corona-Soforthilfe war das erste von mehreren Hilfsprogrammen
Anlass für die Zahlung der Corona-Soforthilfe war der 1. Corona-Lockdown im Jahr 2020. Damals wurde für zahlreiche Unternehmen und Soloselbstständige ein Gewerbeverbot verhängt. Ich durfte als Wellnessmasseurin von Mitte März bis Mitte Mai zwei Monate nicht arbeiten.
Das Land NRW schüttete damals mit der vollmundigen Versprechung von „Umsatzkompensation“ die „Corona-Soforthilfe“ aus, 9.000 Euro für kleine Betriebe erstmal für 3 Monate, schnell und unkompliziert. Die Mittel seien auch nicht rückzahlbar. Ich war dankbar. Eine kleine Soloselbstständige wie ich muss Umsätze von 4.500 bis 6.000 im Monat erreichen, um knapp zu überleben. Nach Abzug der Steuern, Versicherungen und Kosten bleibt davon nicht mal die Hälfte übrig. Das nur als Einordnung der Summe. Der Lockdown kostete mich zwei Monatsumsätze.
Auf die erste „Corona-Soforthilfe“ folgten bei den folgenden Lockdowns weitere Hilfsprogramme wie „Neustarthilfe“ für Soloselbstständige und „Überbrückungshilfen“ für andere Betriebsgrößen.
Ausgezahlt als Zuschuss – nachträglich umgewandelt in einen Kredit
Nach der schnellen Beantragung Ende März und Auszahlung im April 2020 kamen diverse Änderungen der Bedingungen rückwirkend. So wurde vor allem ausgeschlossen, das Geld für den Lebensunterhalt verwenden zu dürfen. Aus Umsatzkompensation wurde eine Kompensation für den Verlust, der sich aus den Einnahmen minus Kosten ergibt – ohne den Verlust des Lebensunterhaltes zu berücksichtigen. Begriffsverwirrungen zu Umsatz, Liquidität, Kosten und Gewinn sowie kaufmännische Taschenspielertricks wie ein verlängerter Abrechnungzeitraum (wodurch noch Einnahmen in die Rechnung verschoben werden aus Zeiten ohne Gewerbeverbot) machten das Chaos aus dem Wirtschaftsministerium NRW immer schlimmer.
Es wurde in den Folgemonaten immer klarer, dass das Land NRW die Soforthilfe zurückfordern würde. Jetzt wurde ein Kredit daraus, dem ich niemals zugestimmt hätte. Wäre es damals klar gewesen, dass das kein Zuschuss, sondern ein Kredit wird, hätte ich die Selbstständigkeit schon im Sommer 2020 aufgegeben und mir einen Job gesucht.
IG-Soforthilfe – Interessengemeinschaft tausender Selbstständiger klagt erfolgreich
Die Details der Corona-Soforthilfe NRW sind zu kompliziert um sie hier zu schildern. Sie wurden 2022 vor mehreren Verwaltungsgerichten in NRW verhandelt. 2.500 Kläger – auch ich – klagten dank der großartigen Crowd-Founding-Finanzierung der IG Soforthilfe und des ehrenamtlichen Engagements von Marc Schuirmann und Reiner Hermann gegen NRW. Verhandelt wurden sechs Musterklagen, die für bestimmte Gruppen von Betroffenen standen. Diese Urteile gelten auch für die anderen Kläger. Alle Verwaltungsgerichte gaben uns Recht. Aber das war nur die erste Runde. Land NRW geht in Berufung. Axel Bahr, ein Anwalt, erklärt hier die Sachlage nach den Urteilen knapp und verständlich auf Youtube.
Alleine hätte sich niemand von uns Kleinen einen Rechtsanwalt leisten können, aber durch die Crowdfinanzierung der Interessengemeinschaft gibt jeder kleine Beiträge und kann dann die Texte unserer Kanzlei nutzen. Nur so, weil viele kleine Beiträge zusammenkommen, konnten wir für unser Recht einstehen! Wir sind tausende Davids und Davidas gegen Goliath.
Aktuell gehört es zu dem Themen der IG-Soforthilfe auch, sich für einen Erlass der Schulden stark zu machen, bei denen, wo nichts zu holen ist. Viele der kleinen Selbstständigen haben ja längst aufgegeben – entweder noch in den Corona-Jahren oder während der folgenden Energie-/Inflationskrise. Ich habe diese Krisenjahre bis Juli 2024 durchgehalten und die Vollzeit-Selbstständigkeit inzwischen aufgegeben.
Land NRW ging in Berufung – und verlor. Trotzdem geht es weiter …
Am Oberverwaltungsgericht Münster wurde die Berufung 2023 verhandelt – Land NRW verlor wieder, die Schlussbescheide bleiben aufgehoben. Land NRW konnte aber trotzdem einen Teilerfolg verbuchen, indem sie ein neues Abrechnungsverfahren vorlegen dürfen.
… mit den Corona-Soforthilfe-Rückforderungen
Aktuell, in 2024, nimmt das Land NRW Millionenbeträge von Ihrem Steuergeld in die Hand, um sich ein neues Abrechnungsverfahren auszudenken und uns Kläger mit den teuersten Wirtschaftskanzleien in die Knie zu zwingen. Die Strategie wird vorraussichtlich sein, und mit Abrechnungsbürokratie so mürbe zu machen, bis wir den Kampf aufgeben. Für viele der bis hierhin überlebenden Soloselbstständigen wird die Rückzahlung das Ende bedeuten. Tausende Tontechnikerinnen, Kameramänner, Friseure, Kosmetikerinnen, Friseurinnen, Gesangslehrer und Wellnessmasseurinnen haben bereits aufgegeben, weil schon nach Corona keine Rücklagen mehr da waren und dann kamen noch Inflation und Energiekrise. Laut Wellnessverband betreiben inzwischen 71 % der Kosmetikerinnen ihr Gewerbe nur noch nebenberuflich. Vor Corona waren es 60 %.
Tausenden Selbstständigen nach diesen Krisenjahren den Rest zu geben, ist auch wirtschaftlich der Wahnsinn. Wir erwirtschaften Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommensteuer – Gelder, die Politiker dann gerne mit vollen Händen ausgeben. Unsere Krankenkassenbeiträge als freiwillig gesetzlich Versicherte sind exorbitant und fließen der Versichertengemeinschaft zu, da auch der Arbeitgeberanteil auf unserer Rechnung steht.
Statt die handwerklichen Fehler einzugestehen und uns die Soforthilfe zu lassen bzw. sie so zu berechnen wie die Neustarthilfe – einfach fair – produziert die heutige grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur immer weitere Kosten, Geschäftsaufgaben und Insolvenzen. Angeblich muss das wegen der EU-Vorgaben so sein. Ich denke, da kann man kreativ werden – wenn man will.
Man wurde im Ministerium unter FDP-Minister Andreas Pinkwart 2020 auch kreativ, als es darum ging, nachträglich aus einem Zuschuss einen Kredit zu machen.
Die Lösung: Corona-Soforthilfe genauso berechnen wie Neustarthilfe
Dabei wäre es so einfach, die Berechnungsweise der Neustarthilfe auf die Corona-Soforthilfe anzuwenden: X Prozent vom Umsatz 2019, auch für Lebensunterhalt zu verwenden. Fertig. Dann dürfte ich den strittigen Rest komplett behalten.
Mit der Konzeption der Neustarthilfe gab Land NRW alle Fehler der Soforthilfe zu – nur nicht offiziell
Fakt ist: Die größten handwerklichen Fehler bei der Konzeption und Abrechnung des ungefragt in einen Kredit umgewandelte Soforthilfe betreffen insbesondere kleine Soloselbstständige wie mich, die geringe Kosten haben und den Umsatz zum Leben brauchen. Der Lebensunterhalt wurde schlicht nicht bzw. nur zu einem geringen Teil (2.000 Euro für 2 Monate, alternativ Hartz4) berücksichtigt.
Das Land NRW war sich dieser Fehler bewusst und hat deshalb für die nächsten Lockdowns für diese Gruppe von Selbstständigen die „Neustarthilfe für Soloselbstständige“ konzipiert: Ein wunderbares Instrument der fairen Umsatzkompensation, von der auch der Lebensunterhalt bestritten werden konnte und den ich nach Endabrechnung voll behalten durfte. Sie war einfach zu beantragen, ohne Kosten für Steuerberater zu erzwingen wie bei den Überbrückungshilfen. Sehr hilfreich bei den folgenden Lockdowns. Insgesamt hatte ich ja über alle Corona-Jahre 6,5 Monate Gewerbeverbote hinzunehmen.
Stand 2024:
Corona-Soforthilfe-Rückforderungen immer noch ungeklärt
Leider, obwohl sich das Wirtschaftsminsterium des Landes NRW der Fehler der ersten Corona-Soforthilfe mit dem Schaden für Soloselbstständige wie mich bewusst ist, weigert es sich, die Sache endlich zu einem fairen Ende zu bringen. Auch 2024 noch.
In der 1. Klagewelle haben uns die Verwaltungsgerichte Recht gegeben, NRW musste die Schlussbescheide aufheben. Nicht inhaltlich in der Frage des Lebensunterhalts, aber weil das Ganze handwerklich zu verpfuscht war. Das Oberverwaltungsgericht hat das in der Berufung bestätigt. Aber aktuell arbeitet das Land NRW mit den teuersten Wirtschaftskanzleien an einer neuen Art der Abrechnung, dem „Verwendungsnachweis„. Zu erwarten ist, dass diese Berechnungsweise genauso unfair ausfällt. Wir können dann wieder dagegen klagen. Somit wird sich das Thema „Rückforderung der Corona-Soforthilfe 2020“ vermutlich noch bis in die Jahre 2026/2027 hinziehen.
Sie möchten die IG-Soforthilfe in diesem Kampf gegen die Rückforderungen unterstützen? Bitte spenden
Und wenn Sie bis hierhin gelesen haben und ein Herz für uns kleine Soloselbstständige haben, spenden Sie bitte an die IG-Soforthilfe. Das Geld wird ausschließlich für die Anwaltskosten verwendet. Die beiden Macher der Interessengemeinschaft, Marc Schuirmann und Reiner Hermann, arbeiten seit 4 Jahren ehrenamtlich für tausende kleine Davids und Davidas, die sich gegen den NRW-Goliath wehren. Wir wollen nicht mehr – wir wollen nur FAIR. Hier geht es direkt zur Paypal-Seite für unsere Interessengemeinschaft.
Rückforderungen von der Öffentlichkeit fast unbemerkt
Von der Öffentlichkeit ist das Thema nahezu unbemerkt, da die Berechnungen und juristischen Tricks des Landes NRW schwer verständlich sind, auch für viele Journalisten. Zudem verbreitet das Land das PR-Märchen, dass sie nur zurückfordern, was rechtmäßig ist und zuviel war. Das ist falsch!
Einige Journalisten und Verbände haben trotz der Komplexität durch das Thema gearbeitet. Einige ganz aktuell:
- Die Tagesschau berichtete am 17. Juli 2024: Corona-Soforthilfen – jeder Fünfte soll zurückzahlen
- Der WDR berichtet in der „Aktuellen Stunde“ am 18. Juli 2024 ab Minute 15.13 anhand des Beispiels von Naturfriseurin Marion Alemeier aus Siegburg
- WELT Online berichtet ebenfalls im Juli 2024, hier ein Youtube-Video
- Der SWR hat 2023 einen guten Beitrag dazu gemacht, es geht zwar um eine Friseurin in Baden Württemberg, aber das gilt auch für NRW hier auf Youtube: „Die Rückzahlung der Corona Soforthilfe bereitet Selbstständigen Sorgen| Zur Sache! Baden-Württemberg“
- Die ARD Tagesschau berichtete 2023 über das Urteil des Oberveraltungsgerichtes im Berufsprozess
- Hier auch eine gute Zusammenfassung bei Verdi: „Corona-Soforthilfe – Rechtswidrige Schlussbescheide und jetzt?“
- Der WDR hat auch 2022 kurz über die ersten Verwaltungsgerichtsurteile berichtet: https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/prozess-verwaltungsgericht-koeln-100.html
Ich möchte mit diesem Beitrag hier darauf aufmerksam machen, dass auch dieses Kapitel der Corona-Jahre noch nicht aufgearbeitet ist und viele von uns immer noch mit den existenziellen Folgen kämpfen. Leider wurde auch bei den Überbrückungshilfen sehr viel falsch gemacht und wird es noch. Das treibt seit Jahren nicht nur Unternehmer, sondern auch die Steuerberaterbranche an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Bürokratie-Wahnsinn bei Schlussabrechungen: Bundes-Steuerberaterkammer schlägt Alarm
Diese andere Gruppe, die sich noch in den nächsten Jahren mit dem Bürokratiemonstrum der Corona-Hilfen herumschlagen muss, sind die Steuerberater. Was diese leisten sollen, und wie sie von inkompetenten Sachbearbeitern gegängelt werden, ist nur noch absurd. Anfang 2024 platzte Hartmut Schwab von der Bundessteuerberaterkammer der Kragen und er veröffentlichte eine Wutrede auf Youtube – hören Sie ihm zu.
Selbst Schuld, wenn es nicht für Rücklagen reicht?
Kritiker bringen gerne das Argument, dass die Soloselbstständigen selbst Schuld sind, wenn ihre Arbeit so wenig abwirft, dass man nicht mal Rücklagen für 2 Monate Betriebsschließung auf der hohen Kante hat. Und jetzt sollen wir nicht rumheulen wegen der Rückzahlungen. Allerdings war dieses Risiko nicht absehbar und damit auch nicht versicherbar. Staatlich verordnete Gewerbeverbote gab es zuletzt bei den Nationalsozialisten.
Viele Selbstständige sind Idealisten und glauben von Jahr zu Jahr, dass es im nächsten Jahr für Rücklagenbildung reicht. Aber …
In Deutschland, als Land mit der zweithöchsten Abgabenquote in entwickelten Ländern, ist es leider so, dass von jedem umgesetzten Euro bei Soloselbstständigen nur (zu) wenig für Rücklagen bleibt. Die ZDF-Reportage auf Youtube gibt hier einen guten Einblick. Der Staat bedient sich großzügig an Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Einkommenssteuer. Vor allem aber ist die Krankenversicherung für Selbstständige um ein Vielfaches höher als z. B. in den Niederlanden, Frankreich oder Spanien. Als freiwilliges Mitglied in gesetzlicher Krankenversicherung zahlt man etwa 20 % des zu versteuernden Gewinns nur für die Krankenversicherung und den Zusatzbeitrag (16,79), die Pflegeversicherung (3,4%) und die Krankengeldabsicherung (1%). Das sind bei einer kleinen Vollzeitexistenz zum Beispiel 500 bis 600 Euro. In den Niederlanden kann man für 150 Euro gut basisversichert sein.
Es ist betriebswirtschaftlich sicher richtig, dass wir alle aufgeben sollten. Da haben die Kritiker leider Recht. Und das tat ich im Juli 2024 mit der Vollzeit-Selbstständigkeit.
Aber geht es wirklich immer nur um Zahlen? Was ist das für eine Welt ohne die kleinen idealistischen Dienstleister? Ohne Friseure, Kosmetikerinnen, Masseurinnen, private Pflegedienste, Fußpflegerinnen, ohne Sporttrainer, Chorleiter, Gitarrenlehrer, ohne freie DJs auf Partys, ohne Tontechniker also auch ohne Konzerte. Ohne kleine Cafés und inhabergeführte Boutiquen. Was das für eine Welt war, wir sehr wir gefehlt haben, wissen auch die Kritiker aus den Corona-Jahren.
Ja, wir kleinen Soloselbstständigen, arbeiten mit Herzblut und Leidenschaft und es rechnet sich oft nicht. Aber seine Arbeit zu lieben ist auch etwas wert, auch für die Gesellschaft. Das wir keine Umsatzkompensation bekommen sollen für die Betriebsschließung im ersten Corona-Lockdown und dafür noch Jahre Kredite abstottern müssen, ist einfach falsch. Grundfalsch.